„Was für ein Ende soll die Ausbeutung der Erde in all den künftigen Jahrhunderten noch finden?
Bis wohin soll unsere Habgier noch vordringen?“ Worte, die wie ein aktueller Kommentar auf den Status Quo der Gesellschaft anmuten. Doch diese wurden bereits vor 2000 Jahren gesprochen – und zwar vom römischen Gelehrten Plinius dem Älteren. Auch Wilhelm Schall beschäftigt sich in seinen Kunstwerken mit der Welt und ihren Zuständen – genauer – mit den Zwischenwelten, jenem, was zwischen den Welten steht. Nach Psychologen und Soziologen leben wir in unserem globalisierten, digitalisierten, hoch technologisierten Zeitalter in einer Ära der Dauerevaluierung und Technikgläubigkeit, in dem vor allem der Konsum – neben der Arbeit – identitätsstiftend wirke. Dabei sei den meisten von uns wohl bewusst, so sagen sie, dass es nicht stets „schneller, höher, weiter“ gehen könne. Bleibt doch dann letztlich der Mensch auf der Strecke.
Am Menschen und dem Leben setzen die Werke Wilhelm Schalls an.
In seinen Objekten und Bildern geht er dem nach, was bereits im alten Wissen der Schamanen und Mystiker eine wichtige Rolle spielte, mitunter vergessene, vom „Homo technicus“ dieser schnelllebigen, oberflächlichen, in Amortisationszeiten denkenden Jetztzeit verdrängte Klarsichten, welche das Dasein ausmachen. Mancher mag seine Arbeiten zunächst formal lesen, als Pyramiden, als Quadrate, als Spiralen, als Bäume, als Kommunikationswürfel. Das ist legitim. Dennoch bezeichnet es nur die Oberfläche. „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, schreibt Antoine de Saint-Exupéry in seinem Buch „Der kleine Prinz“. Und: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Für die Werke Wilhelm Schalls bedeutet dies: Man kann sie wohl ästhetisch genießen, ihren subtilen Aufbau aus Naturmaterialien wie Sand oder Pappmaché, ihre Komposition aus – zu neuem Leben erweckten – Fundstücken, ihre Anordnung von Zahlen und Worten, ihre ausgeklügelten Farbkombinationen. Aber freilich gehen alle diese Erscheinungen tiefer. Sie beinhalten archaische Symbole für Kategorien wie Ewigkeit oder Leben, sie führen uns platonische Idealgeometrien oder mystische Nummern alter Kulturen vor Augen, sie verstecken wie in einem Schrein wertvolle Elixiere, etwa Edelsteine, und bieten Erkenntnisse, die feinstofflich etwas mit dem Betrachter machen. Jede Nummer, jede Anordnung, jede Gestalt, jede Nuance hat ihren Sinn.
Wer sich die Zeit nimmt, sich auf die Arbeiten und ihre Details einzulassen, wer die Worte liest und ihrem Klang nach hört, wer den Formen mit den Augen nachspürt und in sie eintaucht, der wird merken, dass diese Kunst tut, was wahre Kunst eben tut: Sie ändert die Atmosphäre, sie liefert Energie, sie ist Inspirationsquelle für neue, andere Perspektiven und damit eine Chance querzudenken. Wilhelm Schalls Arbeiten sind eine Schule der Wahrnehmung. Sie regen an, das Dazwischen zu entdecken. Aber nicht nur im Sinne dessen, was – um mit Goethes Faust zu sprechen – die Welt für jeden von uns im Innersten zusammenhält. Sondern es geht vor allem auch darum auszuloten, was wirklich zählt. Als die Quantentheorie aufkam, hieß es, alles sei wie durch eine „spukhafte Fernwirkung“ verbunden. Heute, nach bestätigenden Experimenten, wird das Quantenverschränkung genannt.
„Alles im Universum hängt mit allem zusammen"
so erklärte einst der Physiker Albert Einstein. Und wie er betonte sein Kollege Max Planck, alles bestehe aus Schwingung. Derlei hat Wilhelm Schall genauso inspiriert wie ein weiser Mann in Nordamerika, der Häuptling Seattle. Und der erklärte bereits im 19. Jahrhundert: „Der Mensch hat das Gewebe des Lebens nicht geknüpft. Er ist nur ein Faden darin. Was immer er dem Gewebe antut, tut er sich selbst an!“
Petra Mostbacher-Dix M.A.
Freie Journalistin / Kunsthistorikerin